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geschrieben am: 01.09.2004 um 14:55 Uhr
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„Gut, gut. Du willst es wissen? Ich werde es dir erzählen.“
Langsam wendete sich der Drummer um, um sich gemächlich auf den Tisch zu setzen. Der Blick war immer noch gesenkt und foccusierte seine Hände, die beschmutzt von der Glasur der M&M’s waren. Sie wurden weich, aber er nahm sie nicht aus seinen Händen, jetzt nicht. Ruhig, der Leib angespannt und starr wie bei einer Statue, begann er zu sprechen. Es war schwer und würde nur stockend von sich gehen, aber es musste wohl so sein. Der Tag des Geschehens…, er kannte ihn genau… .
„Es war der 12.06.1994. Ich wohnte ein halbes Jahr bei meiner vierten Pflegefamilie, bis alles sich schlagartig ändern sollte. An diesem Tag war für mich nichts mehr so wie es je gewesen war – wenn überhaupt. Ich war nachmittags allein 'zu Hause'. Mein derzeitiger Vater kam früher von der Arbeit als erwartet und meine derzeitige Mutter war ebenso berufstätig, kam aber sonst wie mein Vater so gegen Abend 'nach Hause'. Er verhielt sich seltsam, ging nicht von meiner Nähe weg und, und – tatschte mich an.“
Kazuki musste da sein Gesicht verziehen, es kam alles wieder hochÂ…, ekelhaft.
„Dann ließ er mich zumindest in Ruhe, als ich mehr auf Abstand gegangen bin und regelrecht aus dem Haus flüchten konnte. Nun, am späten Abend, als ich im Bett lag, hatte er sich in mein Zimmer geschlichen und, und da war es eben passiert. Es war so eklig gewesen…, dass kannst du dir nicht vorstellen.“
Er schluckte hart und kämpfte gegen aufkommende Tränen an, er wollte doch nicht schwächer wirken als er eh schon war.
„Dreimal hatte er sich an diesem Abend an mir vergriffen, dreimal…, und ich war froh als ich endlich einschlafen konnte vor lauter Angst und Erschöpfung. Seitdem plagten mich Alpträume und seitdem hörte es nicht auf. Zwei ganze Jahre lang wurde ich Missbraucht und Misshandelt, auf den schönsten Weisen wie man es sich nur ausmalten kann. Letztendlich hatte ich Glück und meine Pflegemutter hatte es bemerkt und es sofort der Polizei gemeldet. Ich war kein Einzelopfer…, nein. Ah, ich konnte nichts sagen, ich war so verwirrt und verängstigt, dass ich mich meiner derzeitigen Mutter nicht anvertrauen konnte. Ich, ich wusste doch nicht wie sie reagieren würde – wer glaubt schon einem Kind, was nicht mal von ihnen gezeugt wurde?“
Nein, das war einfach zuviel für ihn. Er ließ die weichen Schokonüsse mit der bunten Glasur auf den Boden fallen und verbarg sein Gesicht hinter feingliedrigen Händen, wobei er heimlich seine Tränen laufen ließ. Zwei ganze Jahre… .
„Ich habe es nie jemanden erzählt, nur dem Richter, als die Verhandlung kam. Niemand sonst wusste davon bescheid – außer natürlich meine folgenden und letzten Pflegeeltern, die mussten es ja wissen. Ab da an konnte ich kein vernünftiges Verhältnis mehr zu männlichen Personen aufbauen, verstehst du? Es ist doch keine Absicht, dass ich so seltsam bin, ich kann mich einfach nicht fallen lassen! Ich habe eben Angst davor da ich nicht weiß, wie ich mit diesem einschneidenden Geschehnis umgehen soll. Ich, ich weiß es einfach nicht.“
Seine Stimme wirkte unter den Tränen erstickt und fand keinen ebenen, anhaltenden Klang. Immer wieder wurde sie gebrochen und geschlagen, von jenen tiefsitzenden Emotionen. Es war ihm so peinlich hier zu sitzen und zu heulen.
„Beim Dreh wirke ich anders, ja. Aber das ist, weil man mir eine andere Rolle gibt die ich ausspielen soll. Auf der Bühne oder bei Interviews, da will man mich persönlich haben und keine aufgesetzte Rolle. Darum kann ich nicht so mit euch agieren, wie ihr es gerne hättet. Ich, ich schaffe so was einfach nicht…, ich werde diese Angst nie verlieren, Yori, nie! Das sitzt einfach viel zu tief in meinem Herzen drin… .“
Und damit, mit diesem letzten Satz, endete seine Erklärung seiner selbst.
Und nun? Was willst du nun machen? Dein Mitleid aussprechen? Ach weißt du, spar dir doch lieber die Luft, denn du wirst mich nie verstehen können, du weißt nicht wie so was ist, du nicht!
„Und weißt du, was heute für ein Tag ist? Ja, der 12.06.2004! Zehn ganze Jahre sind vorgegangen und ich habe es immer noch nicht geschafft, es zu vergessen. Ich bin ein armselige Figur eines Menschen..., unglaublich so ein Schicksal zu bekommen, dabei habe ich nie etwas getan.“
Keuchte er unter Tränen hervor und verstand es langsam wirklich nicht. Dieser Wechsel zwischen etlichen Familien und jene Misshandlung, die er nicht verarbeiten konnte. Endlich hob er seine Hände von seinem Gesicht und wies ein schreckliches Antlitz vor. Die Schminke war verlaufen und zog gepeinigte Striche über seine Wangen, ehe er einfach aufstand und zu dem Waschbecken ging, um sich gänzlich zu waschen. Die Tatsache, wie er dies nun vor den Maskenbildnern erklären sollte, beachtete er da nicht. Als er fertig war, sah er unter einer schnellen Atmung auf und blickte in den Spiegel vor sich…, er sah schrecklich aus, ja, schrecklich. Geändert am 01.09.2004 um 15:04 Uhr von Kazuki |
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